Ein „Zwischenruf“ des Hospiz-Vereins Bad Pyrmont

„Der assistierte Suizid“ ist ein Thema auch für den Hospiz-Verein Bad Pyrmont.

Mit einem (kleinen) Zwischenruf möchten wir weitere Gespräche anregen und unseren haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden Orientierung bieten.

Vorab in aller Kürze folgende Stichpunkte:

  • Es geht (nur) um den assistierten Suizid in besonderen Einzelfällen.

  • Tötung auf Verlangen ist nach § 216 StGB strafbar und kein Thema für die Hospizbewegung.

  • In bestimmten Situationen sind suizidale Begehren verständlich und können akzeptiert werden bzw. sind zu akzeptieren, weil die Freiheit des Menschen dies gebietet.

  • Niemand ist zur Übernahme einer (bestimmten) Begleitung / zur Fortsetzung einer laufenden Begleitung verpflichtet.

  • Ehrenamtliche unseres Vereins dürfen Menschen, die durch Suizid aus dem Leben scheiden möchten, psychosozial begleiten. Der Mensch darf an der Hand eines Menschen sterben.

  • Eine aktive Rolle Mitarbeitender des Hospiz-Vereins in der Beihilfe (Bereitstellen von Präparaten / Hilfsmitteln zur Selbsttötung) kommt nicht in Betracht.

… und im folgenden etwas ausführlicher:

Hospizliche – psychosoziale – Begleitung ist keine Sterbehilfe! Sie ist eine Lebensbegleitung, denn Sterben ist (noch) ein Teil des Lebens.

Viele Menschen sterben in einem hohen Alter, in einem natürlichen Prozess, weil die physischen und psychischen Kräfte allmählich abnehmen, auch weil der Mensch im wahrsten Sinne der Worte lebenssatt oder lebensmüde geworden ist.

Ein früher Tod ist häufig die Folge einer schweren Erkrankung oder Beeinträchtigung, und oft bedarf es nicht nur in der letzten Lebensphase einer intensiven medizinischen und pflegerischen Versorgung, die schließlich bisweilen eine palliative sein kann und wird. Wenn nach ärztlichem Ermessen eine Heilung nicht mehr erreichbar ist, können die belastenden Symptome zumeist medikamentös gelindert werden. Eine gute Versorgung im Sinne einer umfassenden „Palliative Care“ ist eines der wichtigen Anliegen der Hospizbewegung. Der durchaus verständlichen Angst, „unerträglich und grausam“ leiden zu müssen, kann in den meisten – nicht in allen – Fällen durch die Zusage einer optimalen medizinischen Versorgung begegnet werden.

Palliative Care bedeutet nicht in jedem Fall, eine Verlängerung des Lebens unter Einsatz intensivster und Geräte-Medizin erreichen zu wollen, sondern soll dazu beitragen, die gegebene Lebenszeit würdevoll zu gestalten.

Vereinzelt, ganz selten, gelingt es nicht, mit Medikamenten das unerträgliche oder als unerträglich empfundene Leiden zu lindern, so dass der Todeswunsch verständlich erscheinen und akzeptiert werden kann.
Etliche Menschen empfinden es als Ausdruck persönlicher Freiheit und fordern auch das Recht ein, den Zeitpunkt ihres Todes möglichst selbst zu bestimmen und zu gestalten.

In der hospizlichen Arbeit ist uns kein Geschehen und keine Wunsch- oder Willensäußerung am Lebensende fremd. Wir haben uns mit allen Aspekten zu befassen. Dabei sind, je nach Sozialisierung und religiöser / weltanschaulicher Orientierung, unterschiedliche Überzeugungen und Aussagen zu erwarten.

Die (aktive) „Sterbehilfe“, die „Tötung auf Verlangen“ ist nach § 216 des Strafgesetzbuches verboten; schon der Versuch wird empfindlich bestraft. Also: Kein Thema für Hospizdienste!

Anders gestaltet es sich bezüglich der „Beihilfe zum Suizid“ / „assistierter Suizid“, bei dem Mittel / tödlich wirkende Präparate auf Wunsch des Suizidenten bereit gestellt werden, der Betroffene aber die letzte Handlung selber ausführen muss, weil er sich eventuell noch in der letzten Sekunde neu und anders entscheiden kann und können muss.

Als besonderer Fall, ausgelegt als Behandlungsabbruch oder Verweigerung einer Behandlung, kann uns der (freiwillige) Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) / auf Essen und Trinken begegnen.
Die Diskussion über die Frage, wie sich Hospizdienste zum assistierten Suizid oder beim Verzicht auf Essen und Trinken verhalten sollten, hat im Jahr 2020 eine neue Dynamik gewonnen.

Der Bundesgesetzgeber hatte 2015 durch Änderung des § 217 Absatz 1 des Strafgesetzbuches die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt, obwohl bereits seinerzeit vielfach auf eine wahrscheinliche Verfassungswidrigkeit dieser Regelung hingewiesen worden war.
Infolge etlicher (zu erwartender) Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 die Norm für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

Daraus folgt:
Die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung ist nicht verboten / nicht strafbar. Niemand ist verpflichtet, einem Suizidenten Beihilfe zu leisten. Der Gesetzgeber darf Vorschriften erlassen, die Missbrauch verhindern sollen.

Wegen der „Gratwanderung“ (Welche Regeln halten einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung stand?) ist das Parlament mutmaßlich (noch) zurückhaltend.

Die Herausforderung:
Wie verhalten wir – Hospiz-Verein Bad Pyrmont – uns angesichts der gegenwärtigen Rechtslage einerseits und der „Unsicherheiten“ andererseits?

„Hospizliche Haltung“ meint „Gestaltung eines würdevollen Lebens bis zum letzten Atemzug“.

In der Folge der Erarbeitung der „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ wurde mit dem Hospiz- und Palliativgesetz (2015) und diversen anderen Gesetzen in unterschiedlichen Rechts- und Sachgebieten einiges erreicht. Der „Blick auf die Gesellschaft“ führt uns jedoch vor Augen, dass zum „Recht auf Leben“ (gesellschaftlich, sozial, kulturell, wirtschaftlich …) noch Vieles fehlt. „Alle“, an allen Orten und in unterschiedlichsten Positionen, sind aufgerufen, individuell und kollektiv, zur Verbesserung der Lebens-Verhältnisse beizutragen.
Das „Recht auf Leben“ braucht die gleiche verfassungsrechtliche und gesellschaftliche Würdigung wie das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“.

Die Debatte dazu bleibt eine Dauer-Aufgabe.

Wie gehen wir nun in konkreten Fällen mit Sterbewünschen und Todessehnsucht von Menschen um?

Die Förderung der Selbsttötung durch Beschaffung / Bereitstellung von Medikamenten / Präparaten / Hilfsmitteln durch im Hospiz-Verein hauptamtlich oder ehrenamtlich mitarbeitende Menschen ist mit der hospizlichen Haltung zum Lebensschutz nicht vereinbar. Zudem darf die Gefahr einer psychischen Belastung mit der Folge einer Erkrankung der Mitarbeitenden nicht ausgeblendet werden. (Kritiker der Beihilfe zum Suizid legen das Verhalten in der Förderung / Vorbereitung als eine inzwischen zwar juristisch erlaubte, aber ethisch „problematische“ Beteiligung an einem Tötungsakt aus, der Helfende psychisch überbelasten könne.) Auch im Nachhinein aufkommende Zweifel an der „Richtigkeit“ des Tuns könnten negative Auswirkungen auf die Psyche haben.

Der Verein / Der Vorstand hat eine Fürsorgeplicht für seine Mitarbeitenden und sieht die Verpflichtung, präventiv zu agieren.
Wie aber sollen wir uns verhalten, wenn jemand die Entscheidung getroffen hat, sich zu suizidieren? Nehmen wir eine Begleitung an? Setzen wir eine Begleitung fort, wenn etwa zu Begleitenden eine vertrauensvolle Bindung gewachsen ist?

Sind wir bereit und in der Lage, an der Seite des Menschen zu bleiben, der an der Hand eines Menschen sterben will?

Wie wirken sich die Motive für den Todeswunsch auf unsere Entscheidung, zu begleiten oder nicht zu begleiten, aus?

… wenn jemand sich „frei“ entscheidet, sein Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt zu beenden.

… oder wenn sich ein Mensch mit einem unerträglichen und grausamen Leiden, in einem von ihm als entwürdigend empfundenen Zustand, zum Suizid entscheidet?

Niemand ist verpflichtet, eine (bestimmte) Begleitung zu übernehmen!
Manche(r) wird eine Begleitung beenden wollen, weil die begleitende Person eine andere Grundeinstellung zum suizidalen Begehren hat, oder weil die Begleitung die eigenen Kräfte überbeanspruchen würde.

Andere Begleitende hingegen würden Begleitungen übernehmen oder fortsetzen, wenn sie die Beweggründe der Begleiteten verstehen und / oder akzeptieren können.

Nach Inkrafttreten des § 217 Absatz 1 StGB (2015) hatte – auch unter Würdigung der seinerzeitigen Gesetzeslage – der Vorstand / Verein eine recht restriktive Haltung eingenommen: Zwar wurde im Einzelfall einer (rechtlich nicht verbotenen) Beihilfe zum Suizid die Begleitung des Suizidenten durch Ehrenamtliche nicht ausgeschlossen, jedoch sollte die Begleitung „nicht im Namen des Vereins“ erfolgen.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben ehrenamtliche BegleiterInnen unseres Vereins angeregt, die Möglichkeit zu eröffnen, Suizidenten zu begleiten, und dies mit Akzeptanz durch den Verein.

Diesem Ansinnen entspricht der Hospiz-Verein Bad Pyrmont.
Um den besonderen Herausforderungen der speziellen Situationen gerecht zu werden, ist eine sehr engmaschige interne Begleitung der Begleitenden durch die Koordinationsfachkräfte und den Vorstand geboten.

Selbstverständlich bleibt der Lebensschutz – mit Hilfe von Gesprächs- und Beratungs-/Informationsangeboten – und mit dem Ziel, dem Recht auf Leben die gebotene Geltung zu verschaffen, das vorrangige Anliegen des Hospiz-Vereins.

Dabei akzeptieren wir gleichwohl die Entscheidung des zu begleitenden Menschen – unter Achtung dessen persönlichen Würdebegriffs / dessen persönlicher Werteentscheidung: Wie möchte ich leben? Unter welchen Umständen möchte ich nicht weiterleben?

Wir sind uns bewusst, dass wir uns stets in einem ethischen Spannungsfeld befinden.

Wir kennen und respektieren andere Meinungen und Überzeugungen.
Wir sehen Sorgen, Ängste und Verzweiflung bei Menschen mit größtem körperlichen und seelischen Leid und können die Forderung des Suizids in diesem Fall als einen Akt der Barmherzigkeit betrachten, und es wird dann in der Stunde des Abschieds ein Mensch an der Hand eines sterbenden Menschen sein.

Der Hospiz-Verein Bad Pyrmont wird die Diskussionen in Politik, Kirchen, Gesellschaft, Verbänden … verfolgen und im Dialog bleiben, innerhalb des Vereins und mit weiteren Interessierten.

Der Vorstand
Nicole Lödige, Makrina Kröger und Gert Klaus

Stand der Beratung / Gesprächsgrundlage: Fassung vom 16. November 2020